Love me tinder*
Das Ding mit der digitalen Liebe

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Das Ding mit der digitalen Liebe

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Das Ding mit der digitalen Liebe

Die Blicke kreuzen sich, man schaut sich tief in die Augen. Ein zaghaft, schüchternes Lächeln zieht sich über ihr Gesicht und schon ist es geschehen. Früher lernten sich Menschen noch in Bars, in Cafés, auf der Straße kennen. Das sagen sie uns doch immer so, oder etwa nicht?

Mag schon sein, dass es für eine Vielzahl der Menschen, die vor dem Social Media Zeitalter ihren Lebens(abschnitts)partner kennenlernten, so war. Doch Kontaktanzeigen in Liebesdingen, sind nicht so jung wie mancher glaubt. Genau genommen erschien die erste Heiratsannonce 1695 in einem Londoner Wochenblatt und las: „Ein Herr von etwa 30 Jahren mit ansehnlichem Besitz sucht eine junge Dame mit einem Vermögen von ca. 3000 Pfund.“ Ob je eine Dame auf diese Annonce geantwortet hat, oder ob der Herr von der überwältigenden Anzahl an heiratswilligen jungen Frauen dermaßen überfordert war, dass er sich auf keine einließ, weil ja immer eine bessere durch seine Tür kommen könnte, weiß ich allerdings nicht.

In einer Welt wo Tinder, Once und was es sonst noch so an Liebes-Apps gibt, existieren, haben anonyme Kontaktanzeigen in der Zeitung fast schon etwas Romantisches an sich, wie Liebesbriefe, die heute ja auch keiner mehr schreibt, weil man stattdessen das neue Profilbild seines „Gspusis“ liken kann und damit zeigt „Hey, ich find dich cool!“ Dieser Logik nach zu urteilen, finden mich 200 andere Menschen auch cool und die küsse ich nicht in regelmäßigen Abständen auf den Mund.

Gspusi – Was ist das?

„… und dann hab’ ich meinen neuen Gspusi getroffen.“

Alle im Chor „Aweee“. Ich bin still und schaue mit großen, verwirrten Augen die Sprecherin an.

„Márcia, weißt du was Gspusi bedeutet?
„Nein!“
„Habschi?“
„Was?“
„Gschichtl?“
„….“
„Hawarer?“
„Es wird immer schlimmer!“

„Wie sagt ihr dann in Deutschland, wenn ihr gerade etwas mit jemandem am Laufen habt, aber noch nicht wisst, in welche Richtung sich das Ganze entwickeln wird.“

„Ich habe gerade etwas mit jemandem am Laufen.“

„Das alles? Gibt es nichts Kürzeres?“

„Nicht, dass ich wüsste!“

„May the odds be ever in your favor!“

Ja das alles! Die mitschwingenden Konnotationen, Verwirrungen, Missverständnisse des neumodischen Datings passen, meiner Meinung nach, nicht in ein kurzes Wort wie „Gspusi“ hinein. Dating heutzutage ist so kompliziert, wie eine Kurvendiskussion im Matheabi. Es geht darum, wie sehr man sich mag, aber wie wenig man es zeigt. Es sind Spiele ohne richtige Spielregeln. Wir verwenden moderne Kommunikationsmittel, um ständig miteinander zu kommunizieren, stattdessen verwirren wir uns nur noch mehr und kommunizieren überhaupt nichts. Wann ist aus dem kleinen zehnfach gefalteten Zettel mit „Willst du mit mir gehen? Ja [ ], Nein [ ], Vielleicht [ ]“, das wir in der Schule still und heimlich unter dem Tisch weitergegeben haben, wochenlange WhatsApp Chats geworden, in denen nichts außer Smalltalk steht, die wir, so dumm wie wir sind, immer wieder lesen, auf der Suche nach neuen Indizien, die wir beim ersten, zweiten und zehnten Mal überlesen haben?

„Warum seid ihr nicht zusammen?“ – Wenn die Antwort auf diese Frage nur so einfach wäre.

Wenn Dating heutzutage wie das Eisschollenfeld-Spiel bei Tabaluga TV wäre, dann wäre der Schritt jemanden dazu zu bringen, die Worte „Ich mag dich und würde gerne sehen wohin das Ganze führt“ auszusprechen, der tatsächliche Weg über das Eisschollenfeld und jede Eisscholle ist eine andere Social Media Plattform. Macht man einen falschen Schritt, wie beispielsweise zwei Mal hintereinander fragen, ob man etwas unternehmen möchte, was den Anschein erwecken könnte, man sei zu anhänglich, dann ist man raus, oder wird „geghostet“.

Ich stelle mir manchmal vor, wir müssten das alles unseren Müttern erklären – dass er uns nicht auf Instagram folgt, sich aber unsere Story anschaut. Dass er unseren letzten Snap geöffnet hat, aber nicht darauf antwortet. Dass er unsere Fotos liked, aber zwei Tage braucht, um auf eine WhatsApp-Nachricht zu antworten. Dass wir nicht zu schnell die neuste Nachricht öffnen dürfen, denn das bedeutet, dass wir sehnsüchtig darauf gewartet haben und das würde verraten, dass wir ihn schon mögen und das dürfen wir ja noch nicht. Wir müssen unsere Gefühle herunterspielen. Denn wer so früh den anderen mag, der hat verloren. Wie können wir etwas verlieren, das wir sowieso nie wirklich hatten? Er wird nicht davonlaufen, nur weil wir schnell auf seine Nachrichten antworten. Er wird davonlaufen, weil er von vornherein, nichts von uns wollte, oder er von Anfang an wusste, dass er sich mit uns nichts Ernsteres vorstellen kann. Ich stelle mir vor, wir müssten das unseren Müttern erklären, dann wird mir bewusst, wie lächerlich wir uns verhalten und wie leichtfertig wir miteinander umgehen.

Wir sind mehr denn je miteinander verbunden, emotional könnten wir aber nicht weiter voneinander entfernt sein. Die Gesellschaft hat uns irgendwann eingetrichtert, dass so tun als hätte man kein Interesse cool ist. Wir sind dazu konditioniert, jemanden, der uns sofort mag, wie Müll zu entsorgen, weil es nicht cool ist. Entschuldige mal, aber was machen wir hier alle eigentlich?

„Du darfst dich aber nicht in mich verlieben!“

Ein Phänomen, das sich in letzter Zeit immer mehr abzeichnet, sind Halbbeziehungen – Relationship-Experiences, ohne tatsächlich in einer Beziehung zu sein. Man trifft sich regelmäßig, lernt den gegenseitigen Freundeskreis kennen, in manchen Fällen sogar die Eltern, verbringt Geburtstage und Familienfeiern miteinander, aber auf die Frage, ob man wirklich zusammen ist, kann beziehungsweise will keiner antworten. Denn man hat ja schließlich von vornherein klargestellt, dass man momentan nichts Ernstes will – Aber ist das nicht „ernst“, was wir da gerade tun? Wir haben dem anderen gesagt, dass er sich ja nicht verlieben soll. Wenn es dann doch passiert, dann ist es sein Problem, nicht unseres. Man hat die Verantwortung dafür, dass man mit den Gefühlen des anderen spielt, abgegeben. Man wurde ja schließlich vorgewarnt. Sorry! Selber Schuld! Lustig, ich wusste nicht, dass ich einen Knopf besitze, wo ich meine Gefühle an- und ausschalten kann. Wie Stephen Salvatore in „The Vampire Diaries“, der seinen „Human Switch“ abgestellt hat, damit er nichts mehr fühlt und seinen tierischen Instinkten ohne dem emotionalen Schnick-Schnack bedenkenlos nachgehen kann. Irgendwie praktisch!

Nur ein weiterer Swipe…

Wir behaupten, dass wir endlich gerne eine richtige Beziehung hätten, aber dann schubsen wir jeden weg, der sich versucht uns zu nähern. Es ist so als würden wir uns an unserer eigenen Unzufriedenheit ergötzen, als würden wir uns selbst glauben, wenn wir behaupten, wir suchten momentan nach nichts Ernstem, aber uns dann mit dem anderen so verhalten, als seien wir in einer Beziehung. Wir sind nicht mehr in der Lage etwas Schönes, Gutes und Beständiges zu erkennen, selbst wenn es vor uns steht, weil wir darauf getrimmt wurden weiterzusuchen – nach diesem Feuerwerk, nach diesem Zauber, dieses gewisse Etwas, das wir aus Disney-Filmen und Hollywood-Schnulzen kennen, das uns die Welt um uns herum vergessen lässt. Wir reden uns ein, dass es vermutlich nur noch ein Rechts-Swipe entfernt ist, statt dem echten, lebenden Menschen, der vor uns steht, eine wahre Chance zu geben.



*Die Überschrift ist ein Wortspiel aus: Love me tender (liebe mich zärtlich), eines der bekanntesten Songs von Elvis Presley, und dem Namen der populärsten Dating-App „Tinder“

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3 Comments

  • 7 Jahren ago

    Liebe Marcia, hab den Artikel von vorne bis hinten verschlungen. Ich mag deinen Schreibstil sehr 😉 Auch wenn ich ein bisschen älter bin als du und nie Dating Plattformen benutzt habe, kenne ich diese öden Spielchen leider auch zur Genüge auch von der Zeit vor Tinder, denn trotzdem kommuniziert man ja schon lange nicht mehr face-to-face sondern lieber über What´s App & Co. Aber wie du schon sagst, vielleicht ist es auch das, dass wir uns an unserer eigenen Unzufriedenheit ergötzen und wir alle glauben das es da draußen jemanden gibt der noch besser zu einem passt. Wenn wir uns aber mal entscheiden, dass wir den Blödsinn nicht mehr mitmachen wollen, dann kommt alles von alleine. So war es zumindest bei mir. Die Bilder von dir sind übrigens sehr schön du Hübsche. xx Laura

    • Marcia
      7 Jahren ago

      Liebe Laura,
      dankeschön für deine liebe Nachricht. Mich freut es wirklich sehr, dass der Beitrag so gut ankommt. Danke sehr für dein Kompliment 🙂 Ach ich will gar nicht sagen, dass ich eine heilige bin. Ich bin mir sicher, dass ich auch meinen fair-share of Blödsinn gemacht habe, aber ich versuche mich zu bessern und einfach immer gleich offen und ehrlich zu sein und niemanden mitzuziehen, obwohl ich genau weiß, dass für mich nicht mehr entstehen wird. Und ja wie du schon sagst und wie es auch im Beitrag steht, wir reden nicht mehr von Angesicht zu Angesicht, sondern verstecken uns hinter unseren Bildschirmen und selbst da schaffen wir es nicht offen und ehrlich zu sein, sondern verstecken uns wiederum hinter likes, follows, unfollows, unfriend…. es ist traurig

  • 6 Jahren ago

    „Wir reden uns ein, dass es vermutlich nur noch ein Rechts-Swipe entfernt ist, statt dem echten, lebenden Menschen, der vor uns steht, eine wahre Chance zu geben.“
    Wow, welch tolle Schlussworte! Toller Artikel! Ich stecke da auch gerade irgendwie drin… bin „digital“ auf der Suche… man trifft sich, zuletzt auch mehrmals, beginnt Gefühle zu entwickeln… kaum zeigt man sie, zieht sich der andere zurück und beendet „das ganze“… ziemlich deprimierend o