Quarterlife Crisis: Ich habe meine Aufgabe noch nicht gefunden, aber das ist schon okay

Quarterlife Crisis: Ich habe meine Aufgabe noch nicht gefunden, aber das ist schon okay

Quarterlife Crisis: Ich habe meine Aufgabe noch nicht gefunden, aber das ist schon okay

Ich blicke auf mein linkes Handgelenk. Ein schwarzer Kreis mit einem Punkt in der Mitte starrt mir entgegen. „Ich habe meine Aufgabe erfüllt und bin nach Hause gegangen“, flüstere ich mir zu. Dieses Symbol wird vor allem bei den Pfadfindern verwendet, um seinen Kollegen im Wald eine Nachricht zu hinterlassen. Als ich es mir stechen ließ, hatte das Tattoo für mich eine ganz bestimmte Bedeutung. Mein Vater hatte eine Aufgabe. Er hatte meine Geschwister und mich großgezogen.

Vor ein paar Wochen stieß ich auf ein Buch mit dem Titel „Ich könnte alles tun, wenn ich nur wüsste, was ich will“ und ich kaufte es. Ich kaufte es, weil ich dachte, es könnte mir helfen, herauszufinden, was meine Aufgabe ist. Es könnte mir helfen, mich selbst in die richtige Richtung zu lenken, mir helfen aus dieser Spirale aus unendlichen Möglichkeiten, die in Wahrheit gar keine wahren sind, auszubrechen. Diese unendlichen Möglichkeiten sind nur Illusionen, die wir wie ein Mantra aufsagen: „Wir können alles machen, was wir wollen“.

Aber was, wenn ich es immer noch nicht so genau weiß? Wenn ich meine Aufgabe noch nicht kenne? Ist das auch in Ordnung?

Es ist schwierig in Worte zu fassen, was momentan in meinem Kopf vor sich geht. Seit über einem Jahr habe ich das Gefühl mich in einem Strudel von Unsicherheiten, Existenz- und Versagensängsten zu bewegen. Nachts liege ich wach da, starre an die Decke und zähle wie oft das Licht des Rauchmelders in einer Stunde blinkt, um mich von den immer wieder kehrenden Fragen, auf die ich bisher noch keine Antworten gefunden habe, abzulenken. Wer bin ich? Worin bin ich wirklich gut? Was möchte ich machen? Sind meine Ziele zu ehrgeizig? Bin ich gut genug? Berühre ich damit jemandes Leben? Hat das einen Mehrwehrt? Bin ich glücklich? Mache ich andere glücklich?

An manchen Tagen fühle ich mich, als würde ich zu wenig tun, an anderen Tagen bin ich überwältigt davon, wie viel ich auf einmal mache.

Ich versuche mit Familie und Freunden darüber zu sprechen, doch alles, was ich höre ist: „Es wird schon alles gut werden!“ Das glaube ich auch, doch momentan ist dieser Zuspruch nicht unbedingt hilfreich. Im Gegenteil, ich fühle mich so, als hätte ich mich jemand in der Wildnis ausgesetzt, ohne Handy, ohne Landkarte und Kompass und mir beim Abschied gesagt: „Du machst das schon!“

Die Wahrheit ist aber, dass ich mir dabei nicht so sicher bin. Ich stehe vor einer Abzweigung und muss mich für rechts oder links entscheiden. Dass ich eine Rechts-Links-Schwäche habe, ist dabei nicht gerade von Vorteil. Für manche ist das aufregend. Für mich bedeutet es pure Angst nicht zu wissen, was mich auf der anderen Seite erwartet.

Ein Teil von mir wünscht sich die Jahre bis zu dem Zeitpunkt, in dem ich Mitten im Leben stehe und weiß wer ich bin, vorspulen zu können. Aber das ist nicht der Sinn des Lebens. Das Leben ist eine Reise und kein Ziel. Und auch wenn diese Reise manchmal holprig ist, man auf den falschen Pfad gerät und den ganzen Weg wieder zurück zum Ausgangspunkt gehen muss, sollte man sie so gut es geht genießen. Errungenschaften und Meilensteine zu planen und wie die Punkte einer To-Do-Liste abzuhaken, funktioniert nicht in der Wildnis.

Ironischerweise ist das Leben seit unserer Geburt darauf ausgerichtet ist, uns immer auf etwas vorzubereiten. Die Grundschule bereitet uns auf die weiterführende Schule vor. Die weiterführende Schule auf die Lehre oder die Uni. Wir werden auf den Job vorbereitet, den wir später in der „realen Welt“ ausüben. Wenn wir alle brav auf diesem Weg bleiben und nicht vom Pfad abkommen, dann wird er uns schon dorthin führen wo wir hin müssen.

Was die Gesellschaft aber nicht zu verstehen scheint, ist, dass Menschen nicht dazu geschaffen sind, auf einem Pfad zu bleiben, wenn es doch die Möglichkeit gibt einen ganzen Wald zu erkunden. Der Mensch ist frei, verändert sich ständig und bewegt sich immerzu. Unsere Gedanken, Überzeugungen und Interessen sind heute nicht dieselben wie vor zehn Jahren.

Die meisten von uns sind noch dabei herauszufinden, wer wir sind und was wir wollen. Vielleicht waren wir all die Jahre auf einem falschen Weg? Vielleicht aber, wollen wir einfach einen neuen Pfad beschreiten? Wir spüren aber diesen enormen Druck. Druck, den wir uns selbst auferlegen und Druck von der Gesellschaft. Wir vergleichen uns mit anderen in unserem Alter, die selbstbewusst ihren für sie vorhergesehenen Weg beschreiten, ohne Abzweigungen ohne Selbstzweifel und Existenzängsten, während wir noch immer ziellos im Wald herumirren ohne Handy, ohne Landkarte und ohne Kompass.

Manchmal laufen wir im Kreis, bewegen uns nicht von der Stelle oder gehen gar rückwärts. Diese Rückschläge sind kräftezehrend und frustrierend, sie gehören aber dazu. Aus ihnen lernen wir, was wichtig ist, was wir wollen und was wir keinesfalls wieder tun würden. Auf dem Weg finden wir aber auch heraus, dass es in Ordnung ist, eine Pause einzulegen, einfach mal Luft zu schnappen und die Natur zu genießen. Der Wald hat schließlich mehr zu bieten, als nur einen Weg nach draußen. Vielleicht werden wir bis zu dieser Erkenntnis beliebig oft einen Punkt in einen noch leeren Kreis setzen, den wir dann vermutlich wieder wegradieren. Vielleicht bleibt der Kreis aber auch eine ganze Weile lange leer. Vielleicht finden wir ja heraus, dass wir nicht nur eine, sondern mehrere Aufgaben haben. Dann können wir an mehreren Stellen einen Kreis mit einem Punkt in der Mitte auf den Boden ritzen.

Ich blicke auf mein linkes Handgelenk. Ein schwarzer Kreis mit einem Punkt in der Mitte starrt mir entgegen. „Ich habe meine Aufgabe noch nicht gefunden, aber das ist schon okay“, flüstere ich mir zu.


Woher

Kleid – & Other Stories
Oberteil – ZARA
Ohrringe – Bijoux Brigitte

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2 Comments

  • Floriana
    6 Jahren ago

    Ich kann mich so gut damit indentifizieren! Mir gehts genau so. Ich denk mir oft „bin ich die einzige die so ahnungslos und planlos ist?“ Aber Artikel wie der hier geben mir Bestätigung das ich es nicht bin.
    Manchmal fühl ich mich aber schlecht weil ich nicht weiss was ich will und wohin ich geh, kommt mir so vor als hätte jeder in meiner umgebung seinen weg gefunden und ich nicht.
    Danke das du deine Gedanken geteilt hast! 🙂
    xx

    • Marcia
      6 Jahren ago

      Liebe Floriana,
      dankeschön für deine lieben und aufrichtigen Worte! Nein, du bist definitiv nicht damit alleine und auch wenn das jetzt wie eine dieser doofen Floskeln, die jeder mal von sich gibt, klingen mag – es wird schon alles so kommen, wie es kommen soll. ich glaube wir alle müssen ein bisschen mehr Chillen und den moment genießen, anstatt schon 10 Schritte vorauszudenken. Natürlich ist an die Zukunft denken wichtig, aber manchmal macht man sich damit viel zu sehr fertig und vergisst das hier und jetzt